Vor einiger Zeit hat mich ein jüngerer Mann angefragt, wie das mit der Homosexualität so sei bei anderen Männern. Das ist recht schwierig zu erklären, weil sehr viel mehr Sex zwischen Männern läuft, als nach aussen zugegeben wird. Diese „homosexuellen Handlungen“ sind auch nicht unbedingt mit dem Sex mit Frauen vergleichbar. Frauen können Männer nicht unbedingt befriedigen, aber eher wird über das Umgekehrte diskutiert! 😉
Während der Sex mit Frauen nach einigermassen regulären Vorstellungen abläuft, gibt es unter Männern sehr viele Teilbereiche und Teilbedürfnisse, die spontan oder geplant befriedigt werden. Sehr viele Frauen bestimmen so über die Sexualität ihrer Partner, dass diese oft unter Stress stehen und „jetzt oder nie“ denken, wenn sich eine Gelegenheit bietet. Und für Männer bieten sich viele Gelegenheiten mit Männern. Während die spontanen Gelegenheiten mit Frauen gesucht oder ausgenützt werden, schrecken Viele unter Männern davor zurück. Dies kann man im Internet in vielen Geschichten und Fantasien nachlesen…
Ich habe versucht, einige Antworten zu geben, über die auch jedeR nach-denken kann.
Du hast mich angefragt, wie es denn möglich wäre, mit heterosexuellen Kollegen auch homosexuelle Kontakte zu haben…
„… und bin noch sehr unerfahren, was den Umgang mit bi/homosexuellen Leuten betrifft.“
Du wirst bestimmte Vorstellungen in Deinem Kopf haben, die Du von verschiedenen Seiten erzählt bekommen hast. Vielleicht kennst Du bereits einige Schwule oder Bisexuelle und weisst es nur nicht. So wie es die Anderen nicht von Dir wissen…
Es gibt bei den „Bisexuellen“ zwei Hauptgruppen, die daran auszumachen sind, wie sie an „die Homosexualität“ herangehen:
1. Diejenigen, die hetero-like Männer suchen, „keine Schwuchteln“, sondern „richtige Männer“
Hier ist ein Identifikationsbedürfnis auszumachen, das sie die Nähe dieser Männer suchen lässt. Denn nur der „heterosexuelle“ Mann ist ein „richtiger“ Mann und taugt als Freund und Vorbild, das man selber gerne sein möchte.
Dabei wird übersehen, dass diese Haltung sehr aus einem Minderwertigkeitskomplex heraus gesucht wird, um den ersehnten Status zu erreichen. (Siehe auch Konkurrenz, Rangeleien, sowie Gewalt unter Männern, die die Hierarchie festlegen soll.)
2. Diejenigen, die „heisse Transen“, Schwanzmädchen und eher weibische Männer suchen. Sie möchten auch bei denen die Männerrolle spielen können.
Dann gibt es aber auch welche, die gerne die „Frauenrolle“ spielen würden. Sie möchten die ihnen vertraute Männerrolle einfach mal umkehren, um eine andere Sicht zu bekommen.
Ein junger Hetero schrieb mal auf einem Profil, er möchte nicht mehr nur immer seiner Freundin zuschauen, wie sie seinen Schwanz bläst, er möchte auch mal selber einen geilen Schwanz blasen! 😉
Du beschreibst selber Deinen Empfindungsraum: Du möchtest Deine Männerrolle „behalten“ können! Du suchst eine Beziehung mit Männern, die „besser“ ist als Kollegialität.
Die kollegiale Beziehungsebene zeigt Dein Bedürfnis nach Gleichwertigkeit an. In der heterosexuellen Beziehung oder Sexualität erlebst Du die Ungleichwertigkeit. Denn, wer Du fickst, der/die möchtest Du nicht sein! 😉
Das ist für stramm Heterosexuelle sehr wichtig. Du durchbrichst nun diese – gesellschaftlich vorgegebene – stramme Heterosexualität mit Deinen Identifikationsbedürfnissen und suchst nach einer Alternative.
Gleichzeitig hast Du Angst davor, Deine „Unschuld“ in Deinem Selbstbild und im Fremdbild bei den Anderen zu verlieren. Unschuld heisst, dass ein Mann sich immer nur über eine Frau definiert, indem klar ist, dass er sie fickt.
Wer seine Angst vor dem Fick verliert, der kann sich auch mit dem Hin- und Rückfick eins fühlen. Aber ich sage immer: Nur Frauen müssen gefickt werden, sonst glauben sie nicht an die Liebe. Männer dürfen… 😉
Nun gibt es nicht nur das ficken in der Sexualität, obwohl es wahrscheinlich die häufigste Praktik ist zwischen Männern und Frauen, sowie Männern und Männern. Aber sehr viel mehr Blasen und Wixen zwischen Männern kommt daneben wohl auch vor. Allein schon wegen der schwierigen örtlichen und zu verheimlichenden Umstände, ist das ja nicht immer möglich.
Junge und ältere Männer haben das Bedürfnis, sich mit jeweils Anderen zusammenzutun, gleichen oder verschiedenen Alters, und sich – meistens für kurze Augenblicke – oder wiederholt, oder für länger mit dem eigenen Geschlecht und mit sich selbst eins zu fühlen. Das ist aber für das Konzept der ausschliesslichen Heterosexualität nicht vorgesehen. Es darf keine „Ablenkung“ entstehen.
Dazu habe ich erst kürzlich von der Symbolik des Apfels bei Eva erfahren, dass sie ja eigentlich den Adam mit einem männlichen Symbol zur Sünde der Heterosexualität verführt hat. (in christlich-jüdischem Sinne verstanden, und sie schämten sich anschliessend ihrer Genitalien!) Denn erst diese Sünde macht den Hetero zum richtigen Mann. Egal, wie er wirklich orientiert ist.
Da Du ja die heterosexuelle Sünde bereits getätigt hast, bist Du damit zum Mann geworden und mit Deiner „homosexuellen Unschuld“ bewegst Du Dich nur noch im Vakuum Deiner Identität.
Ich kann Dich aber trösten! Egal was Du mit einem anderen Jungen einverständlich machst (so er denn aus lauter Angst, von seiner Seite aus, überhaupt zum Einverständnis fähig ist!) wird Dir den Status des Vollmannes nicht mehr wirklich nehmen können! Homosexualität „nebenbei“ praktiziert hat noch nie viel geschadet in den verschiedensten Kulturen.
Das einzige, was wirklich „schadet“, ist die ausschliessliche Homosexualität. Das „Unvermögen“, eine Frau zu ficken und damit zum Manne zu werden. Aber davon bin ich selber dann betroffen! 😉
Unsere Kulturen verlangen Eindeutigkeit und Konsequenz im Rollenverhalten und in der Sexualität. Damit stösst sie uns in eine Ambivalenz zwischen gesellschaftlich/weiblicher Erwartung und dem individuellen Bedürfnis. Und das Bedürfnis der Identität mit sich selber und dem eigenen Geschlecht wird verteufelt und dessen Befriedigung verhindert. Damit das Andere umso mehr zum Zuge kommt!
Letztlich soll der Mann sich selber fremd bleiben, um so die Mutter und die Freundin und spätere Ehefrau „begehren“ zu können. Auch wenn er diese oft verachtet. Wegen deren Sexualrolle oder deren „unheimlichen Macht“ der Anziehung, die in Wirklichkeit eine Abhängigkeit ist.
Die Lösung besteht darin, dass Männer sowohl zu sich selber finden, als auch zum anderen Geschlecht. Und diese Männer laufen dann auch nicht mit einer Homophobie herum, die sie bestenfalls in gewalttätigen Auseinandersetzungen untereinander „rituell“ abzubauen versuchen! Dabei würden auch die „Rangeleien“ entfallen, die eine Gleichwertigkeit verhindert und die heterosexuelle Ungleichheit zwischen Mann und Frau bis unter die Männer in einer Rangordnung fortsetzt.
Nicht zu vergessen ist, dass wir in einem Konkurrenzsystem aufwachsen und leben, das uns lebenslang steuert. In der Konkurrenz um die Frauen vergessen die Männer ihre homosexuellen Bedürfnisse und die Konkurrenz unter den Männern in Beruf und Sport erstickt die Solidarität und das Gefühl untereinander. So wurde denn immer Klüngelei und Kumpanei unter und hinter den Männergruppen/-Paaren vermutet. Zugespitzt zeigt sich das im öffentlichen Fussball. Niemannd darf schwul sein, aber öffentliche Küssereien und Genitalgrabschereien finden auf vielen Fussballplätzen statt, quasi in einem gesellschaftlich tolerierten Ausnahmezustand. Die heutigen gewalttätigen Auseinandersetzungen könnten als Fortsetzung der (unbeholfenen) Homosexualität im Stadion nach draussen zu den Fans gesehen werden! 😉
Ich vermute auch, dass die verbreitete negative Verwendung des Wortes schwul ein Versuch darstellt, das Verführerische in den Mund zu nehmen, ohne sich eine Blösse zu geben. Der Bonbon ist süss, auch wenn er „schändlich“ ist!
Hier habe ich noch ein wunderbares Zitat für Dich gefunden:
Männerfreundschaft “Obwohl wir beide heterosexuell sind, setzen wir unsere Beziehung (seit der Highschool) fort. Alle zwei bis drei Monate haben wir Sex. Es ist seltsam, aber hinterher fühle ich mich immer heterosexueller als jemals zuvor. Ich fühle mich, als wenn ich meine Freundin bräuchte, und in Wirklichkeit brauche ich meinen Freund. .. Weder John noch ich betrachten uns als schwul. Ich zweifle, ob irgendein anderer es tun würde.” (Shere Hite: Das sexuelle Erleben des Mannes (2), 1978/1991, S. 337/338)
Wir sollten nie vergessen, dass die Frauen sehr an den bestehenden Verhältnissen und Ungleichheiten interessiert sind, wegen der Macht über die Männer, die sie in dem System ausüben können. Trotz aller angeblichen Toleranz, siegt letztlich das Interesse an der Macht.
Es ist nicht einfach, diese Zusammenhänge zu verstehen. Wenn es einfach wäre, gäbe es auch weniger Homophobie! 😉
Bei Fragen einfach messagen! Du kannst mir auch emailen > arcados@swissgay.info
Peter Thommen_61, Schwulenaktivist, Basel
Warum Sex zwischen Männern oder Jungs eklig ist! 😉
(Ergänzender Kommentar)
Ich bin ein „Homosexueller“ – und das gab es früher gar nicht in dieser Form, schon gar nicht in der Bibel oder im Koran. In früheren Zeiten waren alle Männer (Frauen waren nicht wichtig genug) zum „homosexuellen Laster“ fähig, daher ist es einsichtig, dass die Verurteilung immer streng und konsequent war. Allerdings vergessen viele „überzeugte christliche Heteros“, dass Sex unter Männern nur eines von vielen Lastern war, das „mit dem Tode bestraft“ wurde. Doch um die anderen „schlimmen“ kümmert sich heute ja kaum jemand mehr…
Es gibt auch DEN Heterosexuellen (also „Normalen“) heute schon fast gar nicht mehr in der Form, wie meistens behauptet wird. Viele Männer – und immer mehr sogar – geniessen die Homosexualität, und ich bezweifle ob das je ein „Laster“ war und ist. Höchstens eine „Last“ fürs streng heterosexuelle Bild! 😉
Jedenfalls gibt es verschiedene Einstellungen und Gefühle dazu und auch das Verhältnis von Männern zu Frauen hat sich grundlegend geändert.
Es gibt viele Menschen, die ganz allgemein Sexualität traditionell „spielen“, oder einfach damit „Spass haben“ wollen. In allen Formen und bei allen Gelegenheiten. Ihnen sind eigentlich die PartnerInnen dafür nicht so wichtig…Anderen wiederum ist das Verhältnis zum Partner oder mit den Partnerinnen wichtiger – oder je nach dem, nur zum einen oder zur anderen! 😉
So ist also – mit den Genitalien allein – die Ordnung fürs Sexen nicht hergestellt. So einfach mit Schlüssel und Loch ist es dann doch nicht für alle immer klar.
Abschliessend beachte bitte, dass Heterosexualität (= Normalität) eine Abgrenzung ist, denn keiner der daran Beteiligten möchte so wie ‚die Anderen‘ sein.
Homosexualität jedoch ist eine Identitätshandlung, mit dem eigenen Geschlecht und mit dem anderen Mann. Je nachdem auch eine Erweiterung des eigenen Ichs und Ergänzung mittels Erfahrung. Der Knackpunkt dabei ist die (heterosexuelle) Penetration – von hinten. Kein Mann muss gefickt werden, aber er darf es auch …
Daraus folgt, dass jeder eine sexuelle Identität haben sollte – was bei vielen Heteros nicht der Fall ist und sie darum sehr unsicher sind, weil sie sich ausschliesslich und indirekt über Frauen definieren. Denn viele können sich nie von Frauen wirklich abgrenzen – von der Mutter, über die Freundin, bis zur Ehefrau, da sie von diesen allein abhängig bleiben. Es gibt aber immer mehr Männer ab 50, die in dem Alter quasi „abgebrüht“ sind und homosexuelle Kontakte suchen. (Ergänzung vom 10.7. 2012)
Warum finden Heteros Schwänze „eklig“?
Siehe auch die Diskussion um den Film „Brokeback Mountain“!
Jörg Zittlau, über bisexuelle Freundschaften, (KöRdsch16.4.07)
Pingback: Christopher oder Christina? « Thommens Senf ab 2010 … 2012