Es entsteht beim Lesen meiner Texte offenbar immer wieder der Eindruck, ich würde Schwulen ein „heterosexuelles Leben“ verbieten. Dem ist nicht so. Ich gebe nur zu bedenken, dass dies auch heterosexuelle Probleme mit sich bringt. Und für diese gibt es für Schwule nur wenige Beratungsstellen und Hilfe. Und – sorry – die Beratungsstellen für Heterosexuelle sind mit diesen Problemen überfordert. Vor allem wenn es um die Täter- und Opferrollen geht.
Ich schreibe das nicht aus Neid auf ein „treues, monogames, bürgerliches Leben“ sondern aus der Erfahrung mit betroffenen Leuten, die bei mir vorbeikommen und auch aus der neueren Literatur über schwules Leben. Viele zerbrechen – alleine gelassen – an dieser Lebensform.
Ich möchte den Eindruck korrigieren, der so häufig vorherrscht: Das heterosexuelle Beziehungsmuster ist das beste. Wer damit nicht klar kommt ist halt ein Idiot, oder zu schwach… Niemannd kann darauf vertrauen, dass „es bei ihm schon auch gut gehen“ werde. Wer aber daran scheitert, soll wissen, dass es Alternativen gibt – besonders für zwei, oder mehr Männer! 😉
Für mich ist das alles eigentlich selbstverständlich. Aber die Tatsache, dass ich häufig Kritik erfahre, oder gar Aggressionen erlebe, zeigt mir, wie verbreitet diese „moralische Glaubens-Einstellung“ doch ist.
Dann geht es auch immer mal darum, dass ich „Heteros kritisiere“. Sei es ihr Lebensstil, oder ihre Einstellung zur Homosexualität, oder zu Schwulen. Bevor wir Heteros kritisieren, sollen wir doch bitte selber tolerant sein! Oder:
„Kurz gesagt: „Die Gesellschaft“ darf andere ausgrenzen, „die Anderen“ aber nicht die Gesellschaft. Viele Homosexuelle glauben an dieses Prinzip der Mehrheitsgesellschaft.“ (Hörmann, R.: Samstag ist ein guter Tag , S. 141)
Homosexuelle, oder vor allem Bisexuelle (bei denen das hetero Hemd meist näher ist als die schwule Hose!) merken gar nicht, dass sie dieses heterosexuelle Mehrheitsprinzig in die Gaycommunity hineintragen. Kritik muss vor allem an den Mächtigeren geübt werden, weil diese die Moral der Minderheiten bestimmt! Wie sollen denn „schwule Eier“ das Leben im Hühnerhof verändern??
Und was die „Anpassung“ an die Merheitsgesellschaft betrifft, so habe ich immer wieder dieses Bild aus den USA von braven Schwulen vor Augen: Da schreiten sie in Anzug und Kravatte mit Plakaten vor einem Regierungsgebäude im Kreis herum. Die Revolution, die uns Freiheit brachte, aber fand anders und später statt.
Peter Thommen_61
Über den Ursprung der „heterosexuellen“ Familie ist wichtig zu wissen:
„Selbst die Verteidigung der Heterosexualität (als die „einzige“ natürliche Form von Sexualität), als die Basis der Familie, kann aufgrund historischer Tatsachen hinterfragt werden. Die frühesten „Familien“ waren keine „heterosexuellen“ Kleinfamilien, wie wir sie kennen, sondern schlossen Mutter, Schwestern, Brüder, Tanten Onkel usw. in einer losen Gruppe zusammen. Es gab keinen „Vater“, und die Beziehungen zwischen Mutter und Kind waren keineswegs so elementar, wie wir heute annehmen; Tatsache ist, dass Kinder, Mütter und Schwestern oftmals nicht wussten, wem welches Kind gehörte… Das frühe Indogermanisch verfügte über kein Wort für „Vater“ und jahrhundertelang war es nicht bekannt, dass Geschlechtsverkehr die Ursache für Schwangerschaft ist. Während dieser Jahrhunderte war die Grossfamilie eine überlebensfähige soziale Einrichtung…“ (Shere Hite: Das sexuelle Erleben des Mannes (2), 1978/1991, S. 290)
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